Bei den Vorbereitungen zur ersten Ausgabe des neuen Online-Journals „Geist und Wissenschaft – Blueprints for Life” ist mir eine alte Aufsatzsammlung von Carl Friedrich von Weizsäcker in die Hände gefallen. Der Titel lautet: „Zum Weltbild der Physik“, 2. Auflage. Leipzig, 1944.
Gut, das Buch ist heute kein aktuelles Fachbuch der Physik mehr -, es enthält aber bereits Annäherungen an ein neues Wirklichkeitsverständnis, das er später zu seiner Idee von der „Ur-Theorie“ ausbauen würde: dass die Realität aus elementaren Unterscheidungen („Ur-Alternativen“) besteht, also letztlich aus Information, und nicht aus Materie.
Auch wenn die quantentheoretischen Teile des Buches heute überholt scheinen, ist es doch ein Schlüsseldokument zur Geistesgeschichte des 20. Jahrhunderts.
Weizsäcker ist 1944 gerade Anfang dreißig und schreibt mitten im Krieg. Das Werk ist durchzogen von der Sehnsucht nach einer geistigen Neuorientierung der Wissenschaft – weg vom bloß Technischen, hin zu einer Einheit von Natur und Geist. Damit bildet es eine Art Gegenprogramm zum mechanistischen Weltbild und enthält viele der späteren metamodernen Motive (Interdependenz, Prozessdenken, Resonanz).
Noch bemerkenswerter finde ich allerdings, dass man das Buch als subtilen Gegenentwurf zum ideologischen Weltbild des Dritten Reiches lesen kann – nicht politisch im agitatorischen Sinn, sondern metaphysisch-intellektuell. Während die NS-Ideologie „Leben” biologisch, vitalistisch und rassistisch verstand, begreift Weizsäcker „Leben” als Ausdruck geistiger, also immaterieller Gesetzmäßigkeit.
Weizsäcker war damals Mitglied der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft und eng mit Heisenberg verbunden. Beide arbeiteten an der theoretischen Physik des deutschen Uranprojekts – an der Borderline zwischen Loyalität, Überwachung und innerem Widerstand. Gerade der Fokus auf erkenntnistheoretische und mathematische Fragen schuf eine Tarnung für geistige Freiheit.