Die Website academia.edu gehört zu jenen Quellen, die mich laufend über den Fortgang des akademischen Diskurses in den Domänen der Geistes- und Sozialwissenschaften, aber auch über Neues aus den Natur- und Formalwissenschaften bis hin zur Quantenphysik informiert.
Heute landete eine Leseempfehlung von academia.edu in meiner Mailbox, die mich auf eine Arbeit von Linda C. Ceriello aufmerksam machte, die den markanten Titel trägt: “Toward a Metamodern Reading of Spiritual but Not Religious Mysticisms“. Es ist ein von Frau Ceriello freigegebenes Kapitel eines ihrer Bücher.
SBNR – das ist das Akronym einer Bewegung, die unter dem Label “Spiritual But Not Religious” bekannt geworden ist und im akademisch-soziologischen Umfeld eine bisweilen kontroverse Diskussion ausgelöst hat, aber naturgemäß auch von kirchlichen Institutionen als Herausforderung betrachtet wird. Die New York Times zitiert die Ergebnisse einer Umfrage, nach der 72 Prozent der sogenannten Millenials (die 1981-1997 Geborenen) sich eher spirituell denn religiös identifizieren, beispielsweise also auch ohne einen persönlichen Gottesbegriff oder kirchlich-religiöse Accessoires gut über die Runden kommen.
Für mich interessant an der Arbeit von Linda C. Ceriello ist ihre Einordnung der SBNR-Bewegung als metamodernes Phänomen. Nach ihr würden sich die Anhänger dieser Bewegung bewusst zwischen Deutungspolen bewegen (“oszillieren”), indem sie Praktiken, Medien und Narrative trotz oder gerade wegen (!) ihrer Widersprüchlichkeiten als Teil ihrer Lebenserfahrung akzeptieren. Popkultur und soziale Medien würden dabei als Träger und Verstärker solcher mystischen Anwandlungen, die aus der New-Age-Phase in eine breitere SBNR-Alltagskultur übergehen.
Nun gut. Über ihren aber auch den allgemeinen Mystik-Begriff ließe sich trefflich streiten. Ich jedenfalls sehe das derzeit so: Man würde es sich zu einfach machen, diese Bewegung in die Schublade des so verbreiteten esoterischen Synkretismus zu stecken-, das Menschen- und Weltbild der Metamoderne ist da wesentlich differenzierter. Mein Gefühl ist vielmehr, dass der Hype um die SBNR-Bewegung eine Art Vorläufer oder Wegbereiter für einen sehr viel anspruchsvolleren Ansatz sein könnte, den Einstein bereits so beschrieben hat: “Wissenschaft ohne Religion ist lahm, Religion ohne Wissenschaft ist blind.” Sind wir auf dem Wege zu einer Wissenschaft oder Psychologie des Geistes?