Nein, auf den ersten Blick verbinden Hegel und Mary Baker Eddy rein gar nichts. Hegel, der vielleicht letzte und zugleich größte Idealist der deutschen Philosophie-Geschichte und Mary Baker Eddy, die Gründerin der Christian Science, einer umstrittenen freikirchlichen Bewegung, die im 19. und 20. Jahrhundert sich anschickte, die Welt zu erobern, heute aber weitestgehend aus dem öffentlichen Bewusstsein verschwunden ist.
Betrachtet man jedoch beider Hauptwerke näher, so ergeben sich erstaunliche “Überschneidungen” sage ich mal – , “Gemeinsamkeiten” möchte ich es nicht nennen. Beide sind aus der Perspektive ihres jeweiligen Verständnishorizonts völlig unabhängig voneinaner einem rätselhaften Natur- oder Seinsphänomen auf der Spur, dass die Glaubensanhänger des materialistischen Weltbildes zum Umdenken bringen könnte, wenn sie es konsequent zu Ende denken würden: Der unleugbarenTatsache, dass die Fibonacci-Zahlen, ein rein mathematisches Grundkonstrukt als generatives Formprinzip in der Natur wirkt. Die Nautilus-Muschel ist vielleicht das schönste Beispiel dafür:
Das organische Wachstum der Nautilus-Muschel folgt exakt der Geometrie der Fibonacci-Zahlen. Mathematisch beruht das geometrische Muster auf der Fibonacci-Folge (1, 1, 2, 3, 5, 8, 13 …), bei der jede Zahl die Summe der beiden vorhergehenden ist. Dieses einfache Prinzip erzeugt eine logarithmische Spirale, die in zahlreichen Naturformen wiederkehrt – von der Nautilus-Muschel über Sonnenblumen bis zu Galaxien. Doch was könnte das wohl mit Hegel und Mary Baker Eddy zu tun haben? Um diesen Bezug herauszuarbeiten muss ich etwas weiter ausholen.
Zunächst zu Georg Wilhelm Friedrich Hegel (1770-1831). Hegel gilt als einer der letzten großen Systemphilosophen und als Höhepunkt des deutschen Idealismus. Er begann als Theologe wurde dann aber zu einem Philosophen der Einheit des Seins. Sein Denken kreist um die Frage, wie sich Geist, Geschichte, Welt und Natur vernunft- oder Geist-gesteuert entfalten. Die Wirklichkeit ist für Hegel kein statisches Sein, sondern das generative Werden eines universalen Geistes, der sich selbst erkennt, und zwar durch einen dialektischen Prozesss, der in vier Instanzen sich erfüllt:
- These. Ein bestimmter Begriff, Standpunkt oder Bewusstseinszustand wird als Ausgangspunkt gesetzt.
- Antithese. Das Gegenteil tritt auf und macht einen Widerspruch sichtbar, der die These in Frage stellt.
- Synthese. Im Denken werden beide Pole reflektiert, aber auf eine höhere Ebene geführt, nach Hegel “aufgehoben”.
- Rückkehr (Reflexion / Selbstbezug). Das Denken begreift das Ergebnis der Synthese als neuen Anfangspunkt. Die Synthese (3) wird zur neuen These, womit der Prozess erneut beginnt.
Die vierte Stufe macht Hegels Dialektik hermeneutisch: Erkenntnis ist kein linearer Fortschritt, sondern ein zirkulärer Selbsterkundungs- oder Entdeckungsprozess des Geistes. Man könnte also sagen: Hegels Dialektik ist kein Kreis, der sich schließt, sondern eine aufsteigende Spirale, in der der Geist sich selbst immer tiefer erkennt – ein ständiges Sich-Erinnern des Absoluten an sich selbst. Die Fibonacci-Spirale (oder der sogenannte Goldene Schnitt) zeigt genau jene Bewegung, die Hegel in begrifflicher Form beschreibt: eine selbstähnliche, wachstumsorientierte Entfaltung, bei der jede neue Stufe aus der vorherigen hervorgeht, sie einschließt und zugleich übersteigt.
Nun zu Mary Baker Eddy (1821-1910). Auch sie ist in einem theologischen Umfeld aufgewachsen (ich arbeite an einer Kurzbiographie) schrieb dann aber ihr Hauptwerk “Science and Health” nicht mehr aus einer religiösen Perspektive, sondern wie sie es selber schon damals nannte, als “Wissenschaft des Seins” oder “Wissenschaft des Geistes”.
Nach allem was man weiss, hat Mary Baker Eddy Hegel nicht gelesen. Bemerkenswert sind jedoch strukturelle Analogien zu seinem Werk, allerdings auch Unterschiede, auf die ich in diesem informellen Blog-Format nicht näher eingehen kann. Thema ihres Werkes ist wie bei Hegel das Sein an sich, das sie auf vier Basiskategorien zurückführt. Dieses Sein aber muss geistig-wissenschaftlich verstanden und nicht einfach nur geglaubt werden, ein Paradigmenwechsel, den die wenigsten ihrer damaligen Anhänger wohl erkannt haben dürften. Und wie kann es verstanden werden? Eben durch einen vierfachen Verständnisprozess (der Bezug zu Hegel hier in Klammern):
- Ausgangspunkt (These): Das Sein muss verstanden werden wie es sich dargelegt oder offenbart hat: nämlich als rein geistig.
- Durchführung: Überwindung der Antithese: Was das Sein nicht ist, muss innerlich als unwirklich durchschaut werden, damit es sich nicht mehr negativ auf Bewusstsein und Körper auswirken kann.
- Ergebnis (Synthese): Dann wird das geistige Sein im Hier und Jetzt als ein immer höher sich ereignendes geistes Leben erfahren: “Unendliche Progression ist konkretes Sein”.
- Verständnisvolle Reflexion (Rückbezug-Feedback): Die neue Lebenserfahrung (3.) führt zu einem neuen Ausgangspunkt.
Im Unterschied zu Hegel führt sie ihr Seinsmodell auf die Grundkategorien der Bibel (z.B. die 4×4-Symbolik der “Heiligen Stadt”) zurück und beansprucht nicht, eine eigene Lehre erschaffen zu haben, wiewohl viele ihrer Anhänger das anders sehen mögen.
Ein Hinweis: Quellenangaben zu diesem Thema folgen in Kürze (ich schreibe diesen Blog immer aus dem Moment heraus), wie auch weitere Beiträge dazu.