Tycho Brahe (1546–1601) ist eine Übergangsfigur in der Geschichte des Denkens. Er steht zwischen zwei Welten: Einerseits ist er noch in dem stark vom magisch-mythischen Kosmos-Verständnis der Renaissance gefangen, andererseits antizipiert er ein modernes Verständnis der Naturwissenschaften, indem er sich auf systematische Beobachtung und Datenmessung stützt. Ich nenne ihn eine “Borderline-Figur”.
Denn sein Schloss Uraniborg war nicht nur eine Sternwarte, sondern auch ein Labor für alchemistische Experimente, ähnlich übrigens noch wie bei Newtons Wirkungsstätte. Die mentale Innovation allerdings war seine empirische Radikalität. Mit nie zuvor praktizierter empirischer Radikalität vermaß er ohne Teleskop mit einem einfachen Quadranten die Bahn der Planeten und Sterne– jahrzehntelang. Damit sprengte er den Rahmen spekulativer Mystifikation und bereitete den Boden für Johannes Kepler und später Isaac Newton. Ohne die Rudolfinischen Tafeln von Brahe hätte Kepler niemals die Planetengesetze entdecken können, was ihn ebenfalls zu einem der ersten Vertreter eines neu aufkommenden Weltbildes machte.
Heute, in einer Zeit, wo das primitiv-materialistische Weltbild sich aufzulösen beginnt, befindet sich der Sucher nach Wahrheit in einer ähnlichen Situation. Allerdings verlangt das Paradigma des Geistes – wie es bereits in der strukturierten Symbollandschaft der Bergpredigt zusammengefasst ist, eine ähnliche Radikalität und Überwindungsstärke gegenüber dem materialistischen Weltbild. Die Versuchung ist groß, den neuen Wein des Geistes in die alten Schläuche des Materialismus zu füllen, was gewöhnlich auf einen esoterischen Synkretismus hinausläuft. Ken Wilber und viele andere lassen grüssen …
Vielleicht war der “Stella Nova” für Tycho Brahe so etwas wie ein Kairos-Moment für ihn. Bis dahin schien das Himmelszelt in seiner ewigen Wiederkehr der Erscheinungen der unverrückbare Beweis für die Unveränderlichkeit des Kosmos zu sein. Doch brach damit zwar nicht der Kosmos zusammen, wohl aber kollabierte das Weltbild des Tycho Brahe. Ob der norwegische Autor Karl Ove Knausgård an Tycho Brahe gedacht hat, als er den Roman “Der Morgenstern” schrieb? Mir jedenfalls kam Tycho in den Sinn, als ich nach einem Domainnamen für diese Website suchte.