Origenes (ca. 185–254) von Alexandria gilt als einer der bedeutendsten Theologen und Bibelausleger der frühen Kirche. Er verband eine unerhörte Gelehrsamkeit mit philosophischem Tiefgang und entwickelte einen Gottesbegriff verbunden mit einem bereits kategorialen Bibelverständnis, die seiner Zeit weit voraus waren.
Neuer Gottesbegriff. Für Origenes war Gott kein anthropomorphes Wesen, sondern der unendliche, rein geistige Ursprung, der allem Sein zugrunde liegt. Der Logos – das schöpferische Wort – fungiert dabei als Mittler zwischen dem unsichtbaren Urgrund und der endlichen Welt. Damit führte Origenes eine konsequent transzendente Gottesauffassung ein, die zugleich eine tiefe innere Nähe des Göttlichen zum menschlichen Geist eröffnete.
Interaktives Bibelverständnis. Die Bibel verstand Origenes nicht als wörtlich fixierten Gesetzestext, sondern als mehrschichtiges Symbol- und Offenbarungssystem. Neben dem wörtlichen Sinn erkannte er den moralischen Sinn und den geistigen/allegorischen Sinn, die alle auf eine tiefere Logos-Wirklichkeit hin transparent werden. Damit näherte er sich bereits dem, was heute als ein kategorialer Ansatzpunkt zum Verständnis des geistigen Sinns der Bibel genannt werden kann. Offensichtlich war für ihn die Schrift ein lebendiger Resonanzraum, in dem sich der göttliche Geist auf unterschiedliche Ebenen erschließt.
Rezeption durch die Kirche. Gerade diese Weite seines Denkens führte später zu massiven Konflikten mit der Amtskirche. Nach seinem Tod wurde Origenes im 4.–6. Jahrhundert zunehmend als Häretiker gebrandmarkt; seine spekulativen Gedanken über Präexistenz der Seelen, universale Versöhnung (Apokatastasis) und das unendliche Gotteswesen passten nicht in die enger werdenden dogmatischen Grenzen. Die Verurteilungen des 5. und 6. Jahrhunderts wirkten verheerend: Ein originelles, geistig offenes Verständnis des Christentums wurde verdrängt zugunsten eines stärker autoritären und dogmatisch verfestigten Kirchenmodells sowie eines sich immer weiter verengenden Glaubensbegriffs.
Bedeutung heute. Aus heutiger Sicht erscheint Origenes als früher Pionier einer dynamischen Hermeneutik: sein Verständnis von Gott als geistigem Urgrund und der Bibel als vielschichtigem Symboltext deutet bereits auf Paradigmen hin, die erst wieder beispielsweise in Mary Baker Eddys Hauptwerk Science and Health with Key to the Scriptures sichtbar geworden sind.